Nach 10 Wochen:
Da Zeit ein relativer Faktor ist, kann man jetzt sagen: „Ich habe sie schon ganz schön lange“. Man kann es aber auch so sehen: „Das ist noch nicht lang für die Arbeit mit einem rohen Pferd“. Ich betrachte es als eine kurze Zeitspanne, in der wir schon unglaublich viel erreicht haben.
Da ich kein Profi bin und auch keinerlei Zeitlimit habe, wann mein Mustang bestimmte Dinge beherrschen muss oder soundso weit angeritten sein soll, nehme ich mir ganz viel Zeit. Natürlich möchte ich Fortschritte sehen, aber vor allem soll es einfach Spaß machen miteinander zu arbeiten.
Außerdem gehe ich gar nicht jeden Tag zu Cloe. Sie steht 24 Stunden auf der Weide und braucht keine tägliche Bespaßung. An den Wochenenden hat sie fast immer frei, denn da unternehmen Heinz und ich schöne Wander- und Radausflüge oder machen Besichtigungen. Es gibt schließlich noch ein Leben außerhalb des Reitstalls… Wollte ich da vorher beide Pferde bewegen, würde es sich kaum noch lohnen wegzufahren – meine Stute Samantha ist ja auch noch da!
Ja, andere Mustangs, die gleichzeitig mit Cloe in Deutschland angekommen sind, können schon weit mehr. Man kann ihre Leistungen bereits öffentlich vorführen und sie werden fleißig geritten. So weit sind wir noch nicht, aber ich sehe es persönlich als großen Erfolg an, was Cloe schon alles gelernt hat.
Als sie kam, war sie ja bereits halfterführig und ließ sich recht unkompliziert leiten. Darauf aufbauend übte ich, sie genauso selbstverständlich von rechts zu führen oder hinter mir gehen zu lassen, wenn ein Weg zu eng für uns beide ist. Sie hält auf Kommando an und geht entsprechend wieder weiter. Rückwärtsrichten macht sie auch schon.
Und sie geht überall hin – wirklich überall. Sie folgt mir über jeden Boden und jedes Gelände, durch völlig zugewachsene Wege, enge Durchgänge oder Tore, durch Matsch und Wasser, über Baumstämme, Holzbrücken, Reifen, Treppen- und Billard-Stufen usw. Interessiert aber gelassen marschiert sie durch eine kleine Wohnsiedlung sowie durchs Menschen-Gewimmel bei einem Gutshof mit Golfplatz und Gastronomie – auch wenn da gerade ein Tag mit Schnupperkurs für ganze Horden von lärmenden Jugendlichen ist. Sie hat keine Angst vor Fahrrädern, Autos oder Traktoren, nicht einmal mit Anhängern und landwirtschaftlichen Geräten hinten dran. Modellflugzeuge kennt sie auch schon und selbst einen Hubschrauber hat sie letztens gar nicht beachtet. Sie passiert auch Baustellen, wo es tiefe Löcher im Boden, Absperrungen und große Maschinen zu sehen gibt – allerdings gerade nicht in Betrieb – und marschiert ganz nah an der Autobahn entlang, wo man die Kraftfahrzeuge hört, sieht und geradezu spürt.
Hunde und Katzen kannte sie schon. Wildtiere wie Hasen, Kaninchen, Fasane usw. oder auch Hühner stören sie gar nicht. Schafe fand sie nur beim ersten Anblick etwas gruselig; beim zweiten Mal eher interessant. Wenn wir anderen Pferden begegnen, bleibt sie ganz ruhig und lässt sich völlig problemlos wieder wegführen. Sie rennt nicht zu ihren Artgenossen hin und klebt nicht. Einfach toll!
Natürlich gehen wir nicht ausschließlich spazieren. Wir machen öfters mal ein bisschen Bodenarbeit und Gelassenheitstraining mit allen möglichen Gegenständen wie Decken, Plane, Regenschirm, Ball u. ä. Wir trainieren auch „richtig“. Cloe geht richtig schön an der Longe, bisher allerdings noch am Knotenhalfter. Sie arbeitet ganz konzentriert mit, geht auch ohne Bande auf einem schönen runden Zirkel und hört richtig gut auf die Kommandos für Übergänge. Ich kann sie natürlich mit Gurt oder Sattel – auch mit fliegenden Bügeln - longieren und, wenn ich ihr ein Sidepull anlege, auch schon ausbinden. Ein Gebiss hatte sie probeweise bereits an, aber das nutzen wir noch nicht.
Galopp ist nicht Cloes Lieblingsgangart. Sie galoppiert zwar schön auf Kommando an, fällt aber schnell wieder in Trab, wenn ich sie nicht unentwegt antreibe. Um nicht so viel Unruhe in unsere sonst so locker-flockige Arbeit zu bringen, lasse ich sie nur selten an der Longe galoppieren. Das machen wir dann beim Freilaufen im Roundpen.
Von Reiten kann derzeit noch keine Rede sein, aber ich habe mich als Vorbereitung darauf zuerst immer quer über ihren Rücken gelegt und inzwischen mithilfe einer Freundin auch schon ein paarmal im Sattel gesessen. Cloe lässt sich dann mit mir da oben drauf ein bisschen führen und zeigt bei dieser neuen Herausforderung keinerlei Unbehagen.
Cloe liebt es, geputzt zu werden. So nehmen wir uns immer viel Zeit für die tägliche Körperpflege verbunden mit Streicheln und Kraulen. Das ganze Drumherum wie anbinden, eventuelle Wunden versorgen und sowas ist bereits selbstverständlich. Super schmiedefromm ist sie auch. Wir haben fleißig Hufe geben geübt und der Schmied war kürzlich total begeistert, wie toll er mit ihr arbeiten konnte.
Beim Abspritzen mit dem Wasserschlauch fehlt uns noch die Routine. Das liegt aber schlicht daran, dass es keinen wirklich geeigneten Waschplatz gibt und wir es deshalb nicht häufig üben. Wo die Schläuche hängen, herrscht überall Verletzungsgefahr wegen irgendwelcher herumstehender Gerätschaften. Außerdem sollen wir Wasser sparen… Cloe lässt es sich im Grunde gut gefallen, aber sie steht nicht so gut still, sondern dreht sich zu mir, wenn ich um sie herum gehe, um mit dem Wasser von hinten an sie heranzukommen. Wenn jemand sie festhält, ist es kein Thema; anbinden kann man sie da halt nirgends.
Cloe ist unglaublich gelehrig und Neuen gegenüber so aufgeschlossen, dass fast alles, was wir beginnen, ziemlich gleich oder schon nach wenigen Versuchen super klappt. Da kann man nur staunen.
Und doch gibt es eine große Baustelle: Einfangen auf der Weide bzw. halftern. Eigentlich ließ sie sich schon nach wenigen Tagen ganz brav ein Halfter an- und ausziehen – und zwar egal ob eines, das im Ganzen über die Ohren gezogen wird, oder eines, bei dem der Genickriemen geschlossen wird. Als die Weidesaison begann, fingen plötzlich unsere Probleme an. Sie ließ sich anfassen, aber ich konnte ihr kein Halfter anziehen. Es dauerte immer ewig, bis ich sie überzeugt hatte. An manchen Tagen musste ich sie auf der Weide erst ausgiebig putzen – auch super gründlich am Kopf - bevor sie gewillt war, sich halftern zu lassen. Dann schien diese Phase vorbei und alles lief wunderbar. Wir übten das auch fleißig, indem ich ihr immer wieder verschiedene Halfter anzog: eines zum Führen, eines zum Putzen und ein anderes zum Longieren, dazwischen auch mal das Sidepull zum Gewöhnen.
Leider erlebten wir einen herben Rückschritt und es ging von einem Moment auf den anderen wieder gar nichts mehr. Da ließ sie sich plötzlich nicht einmal mehr ein Halfter anziehen, wenn sie nicht draußen auf der Weide war; und Halfter ausziehen war auch ein Drama.
Derzeit muss Cloe Tag und Nacht ein Weidehalfter tragen und alles andere ziehe ich da drüber. So haben wir nicht täglich diesen Kampf mit dem Einfangen. Sie kommt ja an, wenn sie mich sieht. Mit Halfter lässt sie sich dann sofort nehmen und alles ist gut. Hat sie kein Halfter an, brauche ich zwischen 40 und 50 Minuten bis ich eines draufbekomme. Diese Zeit nutze ich im Moment lieber anders. Ich weiß auch noch nicht so ganz, wie ich dieses Problem lösen will… Dabei ist alles andere so einfach! Das verstehe, wer will..Wir fahren am kommenden Samstag für zwei Wochen in Urlaub. Cloe hat dann auch frei. Ich bin gespannt, ob sie mich danach überhaupt noch kennt und an wieviel von dem bereits Erlernten sie sich dann noch erinnert.
Am Jahresende:
Das Jahr 2021 geht zu Ende. Seit nunmehr acht Monaten ist Cloe bei uns. Seit meiner letzten Zusammenfassung ihrer Fortschritte ist einige Zeit vergangen und sie – eigentlich wir alle – haben uns fleißig weiterentwickelt. Nach wie vor gehen wir sehr viel spazieren.
Das macht nicht nur Cloe und mir Spaß, sondern vor allem auch dem Heinz. Bei meinen anderen Pferden hat er mir zwar immer geholfen, wenn es um Stallarbeit wie Abäppeln oder Wasser auffüllen ging, und vor allem hat er uns zu Turnieren oder Lehrgängen gefahren, aber ansonsten hatte er eher wenig Kontakt zu den Tieren. Bei Cloe ist das anders. In diese kleine Mustangstute hat er sich vom ersten Augenblick an verliebt und sie möchte er regelmäßig sehen, sie mit betreuen und auch etwas mit ihr machen – obwohl er kein Reiter ist.
Das klappt auch wunderbar. Cloe hat sich von Anfang an mit uns beiden angefreundet. Sie liebt es, wenn Heinz einfach bei ihr steht, ihr was erzählt und sie streichelt. Nachdem ich dann mit ihr das Führen und Spaziergehen geübt hatte und sie da ganz sicher zu handhaben war, hat Heinz gelernt, wie man ein Pferd korrekt führt. Inzwischen kommt er sogar in brenzligen Situationen bestens zurecht und Cloe akzeptiert ihn voll und ganz. Ich latsche dann meist nur nebenher – so haben die zwei auch was voneinander.
Beim Gelassenheitstraining kann Heinz sich auch einbringen. Cloe macht da ganz toll mit und hat zu uns beiden gleichermaßen Vertrauen.
Natürlich reite ich das Pferdchen inzwischen auch. Da haben wir uns extrem viel Zeit gelassen. Meine Freundin Caro, die eine ganz tolle Reiterin und Trainerin ist, hat mir in den ersten Monaten geholfen. Obwohl ich genug Erfahrung mit jungen Pferden habe, fühlte ich mich einfach wohler, nicht ganz allein herum zu wurschteln.
Anfangs übten wir ja auch nur das Aufsitzen, dann führte Caro mich herum – bis ich schließlich alleine loslegen konnte. Cloe war von Anfang an sehr artig und ruhig. Trotzdem kamen wir in den ersten Wochen und Monaten wenig voran. Das lag zum Teil daran, dass es zeitlich nicht immer einfach war, denn Caro ist mit zwei kleinen Töchtern, Haushalt, Job und, und, und ziemlich beschäftigt. So bin ich zeitweise nur einmal in der Woche ein bisschen geritten. Später bekamen wir es öfters hin und machten dann – nachdem noch einige Probleme aus der Welt geschafft waren - auch deutlich bessere Fortschritte.
Caro hat so ein gutes Auge für Kleinigkeiten, hat uns genau beobachtet und oft gemerkt, warum was nicht so ganz gut läuft. So war sie es auch, der auffiel, dass Cloe sich mit ihrem Sattel unwohl fühlt. Wir sind dann auf einen Fellsattel umgestiegen. Der Vielseitigkeitssattel wurde ebenfalls angepasst und irgendwann werde ich den auch wieder benutzen. Aber zurzeit kommen wir mit dem weichen Wabbelding sehr gut zurecht.
Dann bekam Cloe eine Quengelphase. Immer wieder blockierte sie und schlug mit dem Kopf. Da beschloss ich, sie mal gründlich durchchecken zu lassen. Normalerweise sind meine Pferde sowieso regelmäßig in Behandlung bei Physiotherapeuten, Zahnärzten usw. Da Cloe aber noch so neu in Menschenhand war, habe ich all das etwas vor mir hergeschoben.
Nun ließ ich Lisa, eine Physiotherapeutin, kommen und sie fand so einige Blockaden und Schwachstellen. Seitdem kommt sie regelmäßig und behandelt Cloe.
Auch die Zähne mussten saniert werden und ein Wolfszahn wurde gezogen. Danach ließ auch bald die Kopfschlagerei und -schüttelei nach. In der ersten Zeit benutzte ich für Cloe ein Sidepull. Irgendwann probierte ich es aber dann doch mit einem Gebiss und ich glaube, das ist ihr lieber. Inzwischen reiten wir alleine. Cloe hat sich toll entwickelt. Im Schritt und im Trab reagiert sie sehr feinfühlig, macht ganz weiche Übergänge und lässt sich prima lenken. Sie geht im Schritt auch mit Reiter überall hin, wo wir vorher zu Fuß waren: über die Holzbrücke, die Stufen am Billard rauf und runter, über Stangen und Baumstämme usw. Trabstangen kennt sie auch schon. Wir waren bereits im Gelände, allerdings mit Begleitung von Caro oder Heinz als Spaziergänger. Im Trab reiten wir dann halt voraus, machen irgendwo eine Schleife und treffen uns wieder mit unserem Aufpasser.
Cloes Kopfhaltung ist noch nicht ganz so, wie man sie sich wünschen würde. Aber es wird immer besser. Im Schritt sucht Cloe so langsam die Anlehnung und dehnt sich schon mal schön nach vorwärts-abwärts. Im Trab hält die den Kopf recht hoch und es gelingt mir noch nicht, so über den Rücken zu reiten. Es ist auch ein bisschen Exterieur bedingt, dass sie sich da schwer tut. Wir arbeiten dran…
Galoppiert sind wir noch nicht. Ich will erst einmal das bereits Gelernte festigen. Galopp ist ja eh nicht so Cloes Gangart. Wenn sie sich austoben will und frei laufen darf, galoppiert sie gerne, dann aber richtig schnell und wild. Ansonsten trabt sie lieber. An der Longe galoppiert sie nicht so gerne und fällt gleich wieder aus, wenn ich nicht ständig nachtreibe. Wir haben Zeit!
Monatelang hatten wir Schwierigkeiten, Cloe auf der Weide einzufangen und ihr ein Halfter anzuziehen. Sie kam immer schön zu uns und ließ sich auch anfassen, aber sobald sie ein Halfter sah, war sie weg. Also trug sie bis vor kurzem einen Halsriemen, an dem wir sie greifen konnten. Es war dann kein Problem, den Strick einzuhaken und sie damit zu führen oder ihr, wenn wir sie erstmal hatten, das Halfter anzulegen. Auch lernte sie, uns einfach so über die gesamte Weide zu folgen, sodass wir sie erst vor dem Ausgang halftern mussten.
Ende November ging die Weidezeit dann zu Ende und die Herde kam ins Winterquartier, den Offenstall mit Paddock. Hier wurde Cloe dann richtig zutraulich und anhänglich. Die ersten Tage musste man sie aus dem Paddock heraus lotsen und ihr draußen das Halfter anziehen. Da hatte sie den Halsriemen noch an, damit sie nicht doch mal abhaute. Aber bald durfte ich dann doch mit dem Halfter in der Hand reinkommen und es ihr dort anziehen. Halsriemen ab – endlich alles wie es sein soll. Ich hoffe nun, dass das Einfang-Theater nicht wieder von vorne anfängt, wenn es im Mai auf die Sommerweide – in die große Freiheit – geht.
Das Einzige, womit Cloe und ich noch gar nicht weitergekommen sind, ist das Verladen. Wir haben es erst zweimal geübt – ich weiß, das ist zu wenig… Cloe stellte sich da recht stur. Sie hatte gar keine Scheu vor dem Hänger und zeigte keinerlei Anzeichen von Stress. Sie ging nur einfach nicht drauf! Das also ist unsere Aufgabe für das nächste Jahr. Schließlich möchten wir mit ihr mal zu Extreme Trail Parcours fahren oder auch mal woanders mit ihr wandern gehen. Das würde ihr bestimmt gefallen.
Seit Mitte Januar 2022 ist Cloe leider im Sparmodus unterwegs. Sie hat eine Knochenhautentzündung am linken Vorderfußwurzelgelenk und darf nur Schritt gehen. Allerdings ist sie ja im Offenstall, sodass das nicht allzu schlimm für sie ist. Nur für mich, denn an Reiten ist nicht zu denken. Da hat sie mich dann mal gleich in hohem Bogen abgesetzt, womit ich im Leben nicht gerechnet hätte. So bleibt es vorerst bei ausgedehnten Spaziergängen. Da sie möglichst wenig Wendungen und keine Drehbewegungen gehen und auch nur auf ebenem Boden laufen soll, können wir auch nicht allzu viel Bodenarbeit machen, nicht Longieren usw. tun.